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Norbert Bücker | Versuch über das Zeichnen
Mitten im Lärm die Stille – zittrig, rasend, leicht und schwer, schnell, langsam, ungeordnet und doch Struktur,
ängstlich, verhalten, laut und leise, chaotisch, voller Kraft und – mitten im Lärm die Stille. Die Vertrautheit des Fremden,
das weiße Blatt Papier, die Harmonie, der Klang, die Welt der Töne, der Gesang der Sirenen – Stille.
Zeichnen ist schreiben ist zeichnen ist schreiben.
Verlockung, dem Auge Fest und Anstoß, sich mit dem Dahinter in einen Dialog zu begeben. Das Bild: die Beute, der Fund,
das Geschenk, das weiterzureichen wichtig ist, das Resultat einer Reise, sichtbar für den, der gewillt ist, hinzuschauen und sich einzulassen.
Das Bild: die Erzählung von den Schichten zwischen den Schichten. „Ein Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder. Ich glaube nicht,
daß es einen besseren gibt. Bilder sind Netze, was auf ihnen erscheint, ist der haltbare Fang.“ (Elias Canetti)
Die Spuren des Schiffs in den Wellen, die Klarheit der Farben, die Reinheit der Luft, die Klarheit der Sinne; Farben und Formen,
aus denen Welt besteht, das Geheimnis einer Landschaft. – Die Wellenlänge der Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit, die zu suchen
es gilt hinter der Wirklichkeit des Scheins, der Wirklichkeit der Welt. Die Reise des Zeichners, die Suche nach der Wahrheit,
der Erhabenheit, der Ruhe, der Tiefe.
Das Sichtbarmachen von Unsichtbarem, das Lesen zwischen den Zeilen, das Reisen in die Zwischenwelt. Sich einlassen auf eine
immer wieder neue, unbekannte Welt. Der Weg, das Ziel, der Prozeß des Malens, der Prozeß des Zeichnens als Akt der Schöpfung.
Sie steigen auf die Schmetterlinge des Planeten, sie steigen auf, sie streifen dein Haar, dein Gesicht, sie berühren dich am Frühling dieses Morgens;
sie werden dich velassen, über dein Gesicht schleichen die Dschungeln – Stille, mitten im Lärm die Stille.
Die Kraft der Linie, die Kraft des Pinselstrichs, die Anmut oder Schwere einer Zeichnung. Literatur, Malerei, Zeichnung.
Wir müssen wieder Kathedralen bauen. Räume voller Stille, voller Harmonie und Tiefe. Räume, in denen Bilder leben, atmen und ihre Kraft
entfalten können. Räume, in denen Malerei und Zeichnung erfahrbar wird als Kraft des Lebens, als Träger der Erinnerung der Gegenwart, der Zukunft.
Der Sturm im Herbst ist laut, die Nächte dunkel und der Mond scheint sonnenhell. Weiß.
Die Schmetterlinge des Planeten, sie vergehen; sie fallen zu tausenden herab auf diese Erde, sie fallen herab, schwarz wie die Nacht.
Sie bedecken den Boden, sie streifen dein Haar, dein Gesicht, sie berühren dich am Frühling dieses Abends und doch – alles Licht der Welt
ist in ihnen, alle Farbe ist aufgehoben in ihren Körpern.
(Quelle: Norbert Bücker – Im Schwarz | Natur)
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Norbert Bücker – Im Schwarz | Natur

Hrsg.: Kunstkreis Cloppenburg, 2010
128 Seiten, Fadenheftung, Hardcover mit Schutzumschlag
Texte von Kerstin Weber, Melanie Körkemeier, Andreas Steffens,
Ferdinand Ullrich u.a.
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Heiner Frost | Das Hirn an der Hand
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Heidi Meier | Aus dem Herzen auf die Leinwand

PORTRAIT: Norbert Bücker – ein Grenzgänger zwischen Schrift und Malerei
Er ist ein Kauz, ein schräger Typ, ein Mann, wie man sich einen Künstler vorstellt. Hut schwarz und breitkrempig, Bart und Haare
lang und zottelig, Statur füllig, Ausstrahlung relaxedund ein wenig über den Dingen stehend, immer für eine hintergründig-witzige Bemerkung gut.
Norbert Bücker, (noch) 52 Jahre, geboren in Recklinghausen, Maristen-Schüler, pendelt zwischen seinem einsamen Haus in den Feldern
des Landkreises Cloppenburg und seinen Recklinghäuser Schlaf- und Arbeitsstätten und ist – natürlich – Künstler. Wie „man“ sich Kunst vorstellt,
ist seine Kunst indes nicht. Grenzgänger zwischen Litaratur, Philosophie, Zeichnun und Malerei.
Seine Bilder – es soll Leute geben, die sie als Krakelei bezeichnen würden – wirken zunächst wild und ungezähmt. Schwarze Schraffuren dominieren,
fast immer setzen einfühlsam platzierte Kolorierungen tiefgründig wirkende Akzente.
Farblandschaften, Seelenlandschaften, Gefühlsmeere – ganz natürlich auf Papier, Leinwand oder aus dem Herzen direkt an die Wand.
Andeutungen von Schrift tauchen immer wieder auf, ebenso eine Symboli, die die „Vorlage“ der feien Natur, der ungestümen Landschaft nicht verhehlt.
Woher er das alles nimmt? „das ist alles hier um mich herum,“ erklärt Bücker, dass er die Welt genau so wahrnimmt, wie er sie mit oft
weit ausholenden Bewegungen auf großformatige Leinwand oder Papier bringt. Dynamik, Ruhe, Hektik, Besinnung, Stress, lebendige Gelassenheit, –
all das läßt sich in Bücker Arbeiten erleben. Natur, Gestalt, Erotik ebenso.
Und immer offenbaren die auf den ersten Blick ungeordnet und willkürlich aufgetragenen Malereien und Zeichnungen bei intensiver Betrachtung
die wohlgesetzte künstlerische Komposition. Man kann versinken zwischen Linienund Kolorierungen, zwischen Schrift und Übermalung. Phantasie ist
gefordert und die Bereitschaft, sich einzulassen, auf die von dieser Kunst ausgelösten Gedanken und Gefühle.
„Ich glaube, dass ich etwas zu sagen habe,“ konstatiert Bücker, dessen Herz, wenn es um die Arbeiten anderer Künstler geht, an der informellen Kunst
hängt. „Ich könnte auch schreiben und das veröffentlichen, da ich aber nur das hier kann, teile ich mich eben so mit.“
Ohne Bezug zum Buch läßt sich an den Künstler Norbert Bücker jedoch kaum denken. Bei vielen Arbeiten übermalt der gelernte Schriftenmaler
sorgfältig ausgesuchte Texte aus Literatur und Philosophie mit der für ihn so typischen Mixtur aus Krakeln und Farbpartien. Mayröcker, Beckett, Breton, Bernhard
zum Beispiel. Ja, das Buch selbst wird zum Kunstwerk. Immer wieder bindet Bücker seine Arbeiten zu Büchern, deren Duchblättern sinnliches Erleben verspricht.
Zur Zeit ist es das aus dem 9. Jahrhundert stammende botanische Lehrgedicht „Liber de Cultura Hortorum“ des Reichenauer Mönchs Wahlafried Strabo,
das Bücker auf gebundenem, dickem Büttenpapier zeichnerisch, malerisch umsetzt.
Jede Seite eine eigene, eigenwillige künstlerische Arbeit. Motive aus der Natur, aber nicht naturalistisch, frei interprtiert, aber nicht abstrakt – Bücker eben.
„Hortulus animae“ (Seelengärtchen) ist denn auch eine derzeit in der kleinen Recklinghäuser Galerie Anbau laufende Bücker-Ausstellung überschrieben.
Was nicht heißen soll, dass der Künstler sich jetzt der Gartenkultur veschrieben hat. „Ich mache das jetzt, und dann wieder was anderes.“
Stillstand, keine Weiterentwicklung, das wäre wohl das Schlimmste für ihn.
Schlimm findet Bücker, der sich im Vorstand des Vestischen Künstlerbundes engagiert, auch die schwindende Wertschätzung von Kunst und Kultur
in unserer Gesellschaft. „Wenn Kultur angeblich so ein hohes Gut ist, dann muß man auch etwas dafür tun.“ Er wünscht sich Atelierförderungen, Zuschüsse
zu Materialkosten oder ähnliche finanzielle Unterstützungen für junge Künstler durch die öffentliche Hand. Wer sich mit großer Kunst brüsten möchte,
müsse eben unten anfangen. Aber er wisse natürlich, dass das utopisch ist. Trotzdem: „Wir sollten mal zwei Jahre lang nichts ausstellen, kein Schauspiel
und kein Konzert aufführen, zwei Jahre keine Kulturveranstaltungen. Um uns danach zu fragen, was uns fehlt und was es uns wert wäre, es wieder zu bekommen.“
(Quelle: Recklinghäuser Zeitung, 2. Juni 2006)
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